Der Atem der Freiheit
Wenn sich angesichts der aktuellen ökologischen wie der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf der Welt ein Gefühl breit machen könnte, dann ist es das Gefühl der Ohnmacht.
Matthias Maywald,
Auch wenn wir tun sollten, was in unserer Macht steht, so scheint unser Einfluss doch sehr begrenzt. Da möchte man verstummen – resignierend oder in «stummer Wut».
In der bekannten Geburtsgeschichte von Jesus, wie sie das Lukasevangelium (Kap. 2) erzählt, finde ich Parallelen zu dieser unserer Situation.
Da ist Josef, der, wie alle Untertanen des römischen Kaisers, sich auf den langen Weg zum Herkunftsort seiner Familie machen muss, um sich dort zwecks Besteuerung eintragen zu lassen. Da gibt es nichts zu diskutieren, dem Befehl des Kaisers gilt es zu gehorchen, jede Zuwiderhandlung würde drakonisch bestraft.
Und da ist Maria, Josefs schwangere Frau, die ihn begleitet. Sie untersteht nicht einer politischen, sondern einer biologischen Notwendigkeit: Ist das Kind einmal unterwegs, muss es ausgetragen werden. Und zwar egal wo – auch wenn es draussen vor einer Herberge ist (wahrscheinlich nicht in einem gemütlichen Stall, sondern bestenfalls in einem Unterstand).
Und schliesslich sind da die Hirten, die nachts auf dem Feld ihre Herde hüten. Sie unterstehen der wirtschaftlichen Notwendigkeit, die sie zu dieser harten und wenig angesehenen Arbeit zwingt. Auch diesem Zwang gegenüber gibt es kein Reden und Klagen, «da kann man nichts machen», da kann man nur schweigend gehorchen.
Da umstrahlt die Hirten plötzlich die «Herrlichkeit des Herrn» – mitten in der Nacht. Sie erschrecken. Bis der Engel des Herrn, der diesen Glanz mitbringt, ihnen die frohe Botschaft von der Geburt des Retters verkündet. Flankiert vom ganzen «himmlischen Heer», das von der Ehre Gottes und dem Frieden auf Erden singt, «unter den Menschen des Wohlgefallens».
Und damit, mit dem Wort des Engels, beginnt nun plötzlich das Reden und Diskutieren in dieser Geschichte, die sich bisher schweigend vollzog. Denn da fangen die Hirten an, sich angeregt zu beraten, und sie beschliessen gemeinsam, hinzugehen nach Bethlehem und mit eigenen Augen zu sehen, was der Engel ihnen gesagt hat. Und mit den Hirten kommt die Botschaft des Engels dann auch zu Josef und Maria draussen vor der Herberge.
Wohlgemerkt: Im Unterschied zu den Herolden des Kaisers, hatte der Bote Gottes den Hirten keineswegs befohlen, nach Bethlehem zu gehen. Er hatte ihnen lediglich verkündigt, dass dort der Retter geboren worden sei, und woran sie ihn erkennen könnten. Wenn man es genau nimmt, hatte der Engel nicht einmal von Bethlehem gesprochen, sondern lediglich von der «Stadt Davids». Sogar diese gedankliche Verbindung zu machen, überlässt er den Hirten selbst.
Wir merken: Da atmet alles Freiheit, da hält der Atem der Freiheit Einzug in unsere Geschichte – mitten in allen Zwängen und aller Ohnmacht, die ihre -Protagonisten erfahren. Da haben die Menschen plötzlich eine Wahl und können «etwas machen». Der Glanz, der die Hirten mitten in der Nacht umgibt, ist ein eindrückliches Bild dafür: da entsteht Raum gegen alles Bedrängende und Bedrückende.
Damit wird klar, dass dieser «Gesalbte», den der Engel verkündigt, ein ganz anderer Herrscher ist als der römische Kaiser, nämlich ein Herrscher der Freiheit. Oder mit Paulus: «Wo der Geist des Herrn (= Jesus) ist, da ist Freiheit» (2. Kor 3,17). Gemeint ist keine politische Freiheit, sondern eine «höhere» Freiheit – wie das Reich von Jesus Christus ja auch «nicht von dieser Welt» ist (Joh 18,36). Aber es ist in dieser Welt!
Bei allen äusseren Bedingungen, die auch wir nicht – oder nur sehr wenig – ändern können, können wir doch das eine tun: mit den Hirten zusammen wieder nach Bethlehem gehen und unser Herz neu von diesem Licht erfüllen lassen, das keine Dunkelheit um uns herum auslöschen kann.
Und die frohe Botschaft weitersagen, die Botschaft von dem Gott, der mit uns ist, weil er Mensch geworden ist und alle diese Bedingungen mit uns getragen hat – um uns gerade darin nahe zu sein und uns Anteil zu geben an seiner Würde und Herrlichkeit.
Pfr. Matthias Maywald