Hader und Trost des Rechtschaffenen
Populistisches Machtmenschentum ist sicher nicht erst ein Phänomen unserer Tage. Das gab es immer schon – natürlich auch im Alten Israel. In einem der Psalmen des Alten Testaments berichtet ein Mensch davon, wie er einst damit haderte, dass solche Menschen mit ihren Machenschaften und Lügen offenbar Erfolg haben. Was für einen Sinn hat es da, wenn man sich darum bemüht, ein rechtschaffener und gottesfürchtiger Mensch zu sein?
Matthias Maywald,
Schliesslich aber, im Tempel, erkannte der Hadernde, dass diese Menschen, so fest sie im Moment auch im Sattel sitzen, doch keinen Bestand haben. Schneller als man denkt, ist es mit ihrer Herrlichkeit vorbei. Und vor allem erkannte er, dass Gott nahe zu sein, für ihn doch eigentlich Lohn genug ist...
Vielleicht erkennen Sie in diesem Menschen, sei es in seinen Zweifeln oder seinem Trost, auch sich selbst wieder?
Psalm 73
Ich weiss es: Gott ist gut zu Israel,
zu allen, die ihm mit ganzem Herzen gehorchen.
Doch beinahe wäre ich irregeworden,
ich wäre um ein Haar zu Fall gekommen:
Ich war eifersüchtig auf die Menschen,
die nicht nach dem Willen Gottes fragen;
denn ich sah, dass es ihnen so gut geht.
Ihr Leben lang kennen sie keine Krankheit,
gesund sind sie und wohlgenährt.
Sie verbringen ihre Tage ohne Sorgen
und müssen sich nicht quälen wie andere Leute.
Ihren Hochmut tragen sie zur Schau wie einen Schmuck,
ihre Gewalttätigkeit wie ein kostbares Kleid.
Ihr Luxusleben verführt sie zur Sünde,
ihr Herz quillt über von bösen Plänen.
Ihre Reden sind voll von Spott und Verleumdung,
mit grossen Worten schüchtern sie die Leute ein.
Sie reissen das Maul auf und lästern den Himmel,
ihre böse Zunge verschont nichts auf der Erde.
«Gott merkt ja doch nichts!», sagen sie.
«Was weiss der da oben von dem, was hier vorgeht?»
So sind sie alle, die Gott verachten;
sie häufen Macht und Reichtum
und haben immer Glück.
Es war ganz umsonst, Herr,
dass ich mir ein reines Gewissen bewahrte
und wieder und wieder meine Unschuld bewies.
Ich werde ja trotzdem täglich gepeinigt,
ständig bin ich vom Unglück verfolgt.
Wenn ich aber reden würde wie sie,
so würde ich das Geschlecht deiner Kinder verraten.
Ich mühte mich ab, das alles zu verstehen,
aber es schien mir ganz unmöglich –
bis ich in Gottes Heiligtum kam
und auf ihr Ende achtete:
Du [Gott] stellst sie auf schlüpfrigen Boden;
du verblendest sie, damit sie stürzen.
Ganz plötzlich ist es aus mit ihnen,
sie alle nehmen ein Ende mit Schrecken.
Herr, wenn du aufstehst, verschwinden sie
wie die Bilder eines Traumes beim Erwachen.
Als ich verbittert war und innerlich zerrissen,
da hatte ich den Verstand verloren,
wie ein Stück Vieh stand ich vor dir.
Denn ich bin doch stets bei dir!
Du hast meine Hand ergriffen
und hältst mich;
du leitest mich nach deinem Plan
und holst mich am Ende in deine Herrlichkeit.
Wer im Himmel könnte mir helfen, wenn nicht du?
Was könnte ich mir noch wünschen auf der Erde ausser dir?
Auch wenn ich Leib und Leben verliere,
du, Gott, hältst mich; du bleibst mir für immer!
Wer sich von dir entfernt, geht zugrunde;
du vernichtest den, der von dir abfällt.
Mein Glück ist dagegen, Gott nahe zu sein,
bei meinem Herrn, dem HERRN, ist meine Zuflucht,
damit ich verkünde alle deine Werke.
* * *
Fraglich ist für mich, ob im Psalm daran gedacht ist, dass Gott die gottlosen Menschen «aktiv» vernichtet oder ob sie in seiner Gegenwart, vor seiner Wirklichkeit einfach keinen Bestand haben können, weil sie nicht in ihm gegründet sind. So wie die Schatten der Nacht weichen müssen, wenn die Sonne sich erhebt – oder eben die Träume mit dem Aufwachen verschwinden.
Bezeichnend ist, dass der hadernde Rechtschaffene zu dieser Erkenntnis gelangt, als er in den Tempel kommt, d.h. zu Gott, zum Ewigen (wir können auch sagen: indem er betet). Dabei lässt er das Gegenwärtige, Momentane hinter sich – und merkt, dass es befristet ist. Er erkennt, dass das, was jetzt grosstut und alles beherrscht, einmal vorbei sein wird. Zwar mag diesem jetzt noch «die Welt gehören», aber nicht das Ende und die Ewigkeit. Der «Endsieg» bleibt ihm verwehrt, und damit der Sieg überhaupt. Was bleibt, ist Gott, und alles, was in ihm gegründet ist. Das ist ein gewaltiger Trost, im Grossen wie im Kleinen, damals wie heute.
Der Psalm macht uns deshalb eine entscheidende Bewegung vor: wir sollen nicht mehr auf die Menschen schauen, die sich um Gott und die Gerechtigkeit und Wahrheit foutieren (als hätten wir wirklich Grund, neidisch auf ihren Erfolg zu sein); vielmehr sollen wir erkennen, dass Gott nahe zu sein, in Wahrheit doch unser grösstes Glück ist, und uns umso entschiedener und unbeirrter an ihn halten, nur ihn vor Augen haben.
Ihr
Pfr. Matthias Maywald